Veröffentlicht am März 12, 2024

Der wahre Preis von Fast Fashion ist untragbar geworden, doch die Slow-Fashion-Bewegung bietet eine wirkmächtige und befreiende Alternative, anstatt nur Verzicht zu predigen.

  • Die „Cost-per-Wear“-Logik zeigt, dass hochwertige, faire Kleidung langfristig oft günstiger ist als Billigware.
  • Praktische Qualitätstests vor dem Kauf und bewusste Pflege können die Lebensdauer von Kleidungsstücken mehr als verdoppeln.
  • Das deutsche Lieferkettengesetz gibt Ihnen als Konsument*in ein machtvolles Werkzeug an die Hand, um von Marken Transparenz einzufordern.

Empfehlung: Verwandeln Sie sich von einem passiven Konsumenten in einen bewussten Garderoben-Architekten, indem Sie Qualität über Quantität stellen und die hier vorgestellten Werkzeuge bei Ihrem nächsten Kauf anwenden.

Der Kleiderschrank platzt aus allen Nähten, doch das Gefühl, „nichts zum Anziehen“ zu haben, ist ein ständiger Begleiter. Ein kurzer Klick, ein günstiges T-Shirt im Warenkorb, ein flüchtiger Moment der Freude – gefolgt von der Enttäuschung, wenn das neue Stück nach wenigen Wäschen Form und Farbe verliert. Dieser Kreislauf aus Kaufen, Tragen und schnellem Entsorgen ist das Markenzeichen der Fast Fashion. Er hinterlässt nicht nur Frust im Alltag, sondern auch eine Spur der Verwüstung für Mensch und Umwelt. Die Antwort darauf scheint oft in simplen Ratschlägen zu liegen: „Kauf doch einfach weniger“ oder „Achte auf Second-Hand“. Doch diese gut gemeinten Tipps greifen zu kurz. Sie kratzen nur an der Oberfläche eines systemischen Problems und hinterlassen oft ein Gefühl von Ohnmacht und Verzicht.

Aber was wäre, wenn die wahre Lösung nicht im Verzicht, sondern in der Ermächtigung liegt? Was, wenn der Ausweg aus der Fast-Fashion-Falle nicht darin besteht, Mode zu hassen, sondern eine tiefere, wertschätzendere Beziehung zu ihr aufzubauen? Genau hier setzt die Slow-Fashion-Bewegung an. Sie ist kein Trend, sondern eine Philosophie – eine bewusste Entscheidung, die Kontrolle über den eigenen Stil und dessen Konsequenzen zurückzugewinnen. Es geht um die Wiederentdeckung von Qualität, die Freude an langlebigen Lieblingsstücken und das Wissen, dass die eigene Kleidung eine Geschichte von Respekt und nicht von Ausbeutung erzählt. Dieser Artikel ist Ihr Leitfaden, um vom frustrierten Konsumenten zum souveränen Gestalter Ihrer Garderobe zu werden. Wir decken die versteckten Kosten auf, geben Ihnen praktische Werkzeuge an die Hand, um Qualität zu erkennen, und zeigen, wie Sie eine Garderobe aufbauen, die nicht nur stilvoll und nachhaltig ist, sondern auch wirklich zu Ihnen passt.

Dieser Leitfaden führt Sie schrittweise durch die Prinzipien der Slow Fashion. Von der kritischen Analyse der Fast-Fashion-Industrie bis hin zu konkreten Tipps für den Aufbau einer fairen und langlebigen Garderobe bieten die folgenden Abschnitte einen umfassenden Überblick.

Wer zahlt den Preis für Ihre Billig-Kleidung? Die versteckten ökologischen und sozialen Kosten der Fast Fashion

Das 5-Euro-T-Shirt scheint ein unschlagbares Angebot zu sein, doch sein wahrer Preis wird an anderer Stelle gezahlt – von Menschen und dem Planeten. Die Fast-Fashion-Industrie basiert auf einem Modell der maximalen Geschwindigkeit und minimalen Kosten, was unweigerlich zu katastrophalen Folgen führt. Die sozialen Kosten wurden durch den Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei dem 1135 Menschen starben, die unter anderem für deutsche Konzerne wie Primark und Kik produzierten, auf tragische Weise weltweit sichtbar. Arbeiterinnen und Arbeiter in den Produktionsländern leiden unter lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen, Hungerlöhnen und exzessiven Überstunden, um die unersättliche Nachfrage nach immer neuer, billiger Ware zu stillen.

Auch die ökologischen Kosten sind immens. Der massive Einsatz von Pestiziden im konventionellen Baumwollanbau, der gigantische Wasserverbrauch und die Verschmutzung von Flüssen durch giftige Färbemittel sind nur die Spitze des Eisbergs. Am Ende des viel zu kurzen Lebenszyklus eines Kleidungsstücks steht ein gigantisches Müllproblem. Allein in Deutschland ist die Menge der entsorgten Textilien dramatisch angestiegen. Laut aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes wurden 2023 rund 175.000 Tonnen Altkleider exportiert – eine Steigerung um 55 % im Vergleich zu vor zehn Jahren. Ein erheblicher Teil davon ist nicht mehr verkäuflich und landet auf riesigen Müllhalden in Ländern wie Ghana, wo wöchentlich Millionen von Kleidungsstücken aus dem Westen ankommen und die lokalen Ökosysteme zerstören.

Die Erkenntnis dieser versteckten Kosten ist der erste, entscheidende Schritt zur Veränderung. Jeder Kauf ist eine Abstimmung. Indem wir uns für langlebige, fair produzierte Mode entscheiden, entziehen wir diesem ausbeuterischen System die Grundlage und fordern eine Industrie, die Mensch und Umwelt respektiert. Es geht um die Rückgewinnung unserer Konsumenten-Souveränität: die bewusste Entscheidung, nicht länger Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein.

Nachhaltig und stilvoll: Wie Sie ethische Mode finden, die zu Ihrem Budget und Ihrem Stil passt

Die Vorstellung, dass nachhaltige Mode unerschwinglich und stilistisch eingeschränkt ist, gehört zu den hartnäckigsten Mythen. In Wahrheit eröffnet die Slow-Fashion-Bewegung eine Welt durchdachter, hochwertiger Designs, die nicht nur besser für den Planeten, sondern auch für Ihren Geldbeutel sind. Der Schlüssel liegt in einer veränderten Perspektive: der Cost-per-Wear-Mentalität. Anstatt nur den Anschaffungspreis zu betrachten, berechnen Sie die Kosten pro Tragen. Ein fair produziertes T-Shirt für 35 €, das Sie über Jahre hinweg lieben und tragen, ist am Ende deutlich günstiger als drei 10-Euro-Shirts, die nach wenigen Monaten im Altkleidercontainer landen.

Dieser Paradigmenwechsel verändert nicht nur die Kaufentscheidung, sondern auch die Wertschätzung für das einzelne Kleidungsstück. Der Fokus verschiebt sich von kurzlebigen Trends hin zu zeitlosem Stil und überlegener Qualität. In ganz Deutschland entstehen immer mehr Fair Fashion Concept Stores, die beweisen, wie modern und ästhetisch ansprechend nachhaltige Mode sein kann. Sie kuratieren eine Auswahl an Marken, die auf ethische Produktion und ökologische Materialien setzen, und schaffen ein inspirierendes Einkaufserlebnis jenseits der überfüllten Ramschtische der Fast-Fashion-Ketten.

Heller, einladender Fair Fashion Concept Store mit natürlichen Materialien und sorgfältig kuratierten Kleidungsstücken

Die folgende Gegenüberstellung macht den finanziellen Vorteil der Slow-Fashion-Philosophie deutlich. Während der anfängliche Preis höher ist, führt die überlegene Haltbarkeit zu signifikant niedrigeren Kosten pro Trageanlass.

Kriterium Fast Fashion T-Shirt Fair Fashion T-Shirt
Anschaffungspreis 10€ 35€
Geschätzte Tragehäufigkeit 10x 50x
Cost-Per-Wear 1,00€ 0,70€
Haltbarkeit 6 Monate 3-5 Jahre
Material Konventionelle Baumwolle/Polyester 100% Bio-Baumwolle GOTS

Ethische Mode zu finden bedeutet also nicht, Kompromisse bei Stil oder Budget einzugehen. Es bedeutet, klügere, informiertere Entscheidungen zu treffen, die sich langfristig auszahlen – für Sie und für die Welt.

Die 30-Wäschen-Regel: Wie Sie die Qualität eines Kleidungsstücks erkennen, bevor Sie es kaufen

Ein zentraler Grundsatz der Slow Fashion lautet: Kaufen Sie nur, was das Potenzial hat, mindestens 30 Mal gewaschen und getragen zu werden. Diese einfache Regel schult den Blick für das Wesentliche – die Qualität. Doch wie erkennt man diese, bevor das Kleidungsstück nach der dritten Wäsche seine Form verliert? Mit ein paar einfachen Handgriffen können Sie direkt im Laden einen kleinen „Qualitäts-TÜV“ durchführen und so teure Fehlkäufe vermeiden. Es geht darum, mit den Sinnen zu prüfen, anstatt sich von einem niedrigen Preis blenden zu lassen.

Fühlen Sie den Stoff. Wirkt er dünn und labil oder hat er eine gewisse Dichte und Griffigkeit? Ein gutes Indiz ist der Licht-Test: Halten Sie das Gewebe gegen eine Lichtquelle. Je weniger Licht durchscheint, desto dichter und potenziell langlebiger ist der Stoff. Achten Sie besonders auf die Verarbeitung der Nähte. Ziehen Sie sanft daran – sie sollten fest und gleichmäßig sein, ohne dass Fäden nachgeben oder sich Lücken bilden. Ein weiteres Qualitätsmerkmal sind Details wie Reißverschlüsse und Knöpfe. Renommierte Hersteller wie YKK bei Reißverschlüssen oder fest vernähte statt geklebte Knöpfe deuten auf eine sorgfältigere Produktion hin.

Makroaufnahme hochwertiger Stofftextur mit sichtbaren Fasern und präzisen Nähten

Vergessen Sie nicht den Blick auf das Etikett. Materialien wie langstapelige Baumwolle (z.B. Pima oder ägyptische Baumwolle), Leinen, Hanf oder hochwertige Wolle sind von Natur aus robuster als kurzfasrige Baumwolle oder billige Synthetikmischungen. Mit etwas Übung entwickeln Sie ein echtes Gespür für Qualität und können souverän entscheiden, welches Stück die 30-Wäschen-Hürde meistern wird.

  • Nahtprüfung: Ziehen Sie sanft an den Nähten. Sie sollten fest, gleichmäßig und ohne lockere Fäden sein.
  • Stoffdichte: Halten Sie den Stoff gegen das Licht. Dichte, schwere Gewebe sind oft ein Zeichen für Langlebigkeit.
  • Reißverschluss-Check: Markenreißverschlüsse (z.B. YKK) sind ein gutes Indiz für eine höhere Gesamtqualität.
  • Knopftest: Überprüfen Sie die Befestigung. Fest vernähte Knöpfe sind besser als schnell geklebte.
  • Materialkennzeichnung: Bevorzugen Sie natürliche und langstapelige Fasern, die für ihre Robustheit bekannt sind.

Lieben, pflegen, reparieren: Wie Sie die Lebensdauer Ihrer Lieblingsstücke verdoppeln

Die Beziehung zu einem Kleidungsstück endet nicht mit dem Kauf – sie beginnt erst. In der Wegwerfgesellschaft der Fast Fashion haben wir verlernt, Kleidung wertzuschätzen und zu pflegen. Slow Fashion hingegen zelebriert die Langlebigkeit und sieht in Pflege und Reparatur einen Akt der Wertschätzung. Indem Sie die Lebensdauer Ihrer Kleidung verdoppeln, halbieren Sie deren ökologischen Fußabdruck. Und das Beste: Es ist einfacher als Sie denken und in Deutschland gibt es dafür eine hervorragende Infrastruktur.

Die richtige Pflege ist der erste Schritt. Oft reicht schon das Waschen bei niedrigeren Temperaturen (30°C) und das Lufttrocknen anstelle des maschinellen Trocknens, um Fasern zu schonen und die Lebensdauer erheblich zu verlängern. Die Wahl des Waschmittels spielt ebenfalls eine Rolle; ökologische Marken wie Sonett oder Frosch sind in Deutschland weit verbreitet und reinigen schonend. Für spezielle Textilien, wie Outdoorkleidung, kann eine regelmäßige Nachimprägnierung (z.B. mit Nikwax-Produkten) die Funktionalität und Haltbarkeit bewahren. Hochwertige Kleiderbügel aus Holz erhalten zudem die Form von Jacken und Blusen besser als dünne Drahtbügel.

Doch was, wenn doch einmal ein Knopf abfällt oder ein kleines Loch entsteht? Anstatt das Teil zu entsorgen, wird es repariert. Das deutschlandweite Netzwerk der „Reparatur-Initiativen“ listet zahlreiche Reparaturcafés, in denen man unter Anleitung und mit bereitgestelltem Werkzeug selbst Hand anlegen kann. Parallel dazu bieten die Volkshochschulen (VHS) flächendeckend Nähkurse, Flick-Workshops und Upcycling-Seminare an. Initiativen wie das Social Business „Stitch by Stitch“ gehen noch einen Schritt weiter, indem sie geflüchteten Menschen durch Textilhandwerk eine Perspektive bieten und gleichzeitig nachhaltige Mode schaffen. Diese Kultur des Reparierens verwandelt einen vermeintlichen Makel in eine persönliche Geschichte und macht jedes Stück einzigartig.

Das perfekte kleine Kleiderschrank-System: Welcher minimalistische Ansatz am besten zu Ihnen passt

Weniger ist mehr – aber wie sieht dieses „weniger“ konkret aus? Ein minimalistischer Kleiderschrank bedeutet nicht, auf Stil zu verzichten, sondern ihn zu destillieren. Es geht darum, eine Garderoben-Architektur zu schaffen, in der jedes Teil geliebt, vielseitig kombinierbar und von hoher Qualität ist. Der bekannteste Ansatz ist die „Capsule Wardrobe“, eine kleine, kuratierte Sammlung von Kleidungsstücken, die für eine bestimmte Saison perfekt zusammenspielen. Dieses System befreit von der täglichen Entscheidungslast und fördert die Kreativität im Kombinieren.

Eine Capsule Wardrobe ist keine starre Formel, sondern ein persönliches Projekt. Sie definieren Ihre Kernfarben, Ihre Stilrichtung und die Anzahl der Teile, die zu Ihrem Lebensstil passen. Für das Klima in Deutschland mit seinen vier ausgeprägten Jahreszeiten ist eine saisonale Anpassung besonders sinnvoll. Die Basis bilden ganzjährige Essentials wie gut sitzende Jeans und hochwertige T-Shirts, die dann durch saisonale Stücke wie einen Wollmantel im Winter oder ein Leinenkleid im Sommer ergänzt werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der sorgfältigen Auswahl vielseitiger Teile, die sowohl untereinander als auch zu verschiedenen Anlässen passen.

Dieser bewusste Prozess der Reduktion und Kuration verändert die Perspektive auf Mode fundamental. Wie die Designerin Emilia Wik es treffend formuliert:

Slow Fashion bedeutet zu einer persönlichen Beziehung zur Mode zurückzukehren. Eine bei der Trends und Saisonalitäten keine Rolle mehr spielen.

– Emilia Wik, Head Designerin bei BYEM

Die folgende Tabelle gibt eine Orientierung, wie eine Capsule Wardrobe für das deutsche Vier-Jahreszeiten-System aussehen könnte, inklusive Beispielen für etablierte deutsche Fair-Fashion-Marken.

Jahreszeit Basis-Teile Anzahl Deutsche Fair Fashion Marken
Frühling/Herbst Übergangsjacke, Pullover, Jeans 10-12 Armedangels, Lanius
Sommer T-Shirts, leichte Hose, Kleid 8-10 Jan ’n June, Thinking Mu
Winter Wollmantel, dicke Pullover, Boots 10-12 Hessnatur, Knowledge Cotton
Ganzjährig Basics: weiße Shirts, Jeans 5-7 Armed Angels, Nudie Jeans

Gut für den Planeten, aber auch für die Menschen? Warum wir beide Seiten der Medaille betrachten müssen

Ein Kleidungsstück aus Bio-Baumwolle ist ein guter Anfang, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Echte Nachhaltigkeit muss immer zwei Dimensionen umfassen: die ökologische und die soziale. Ein T-Shirt kann aus dem besten organischen Material bestehen, aber wenn es von einer Näherin unter ausbeuterischen Bedingungen gefertigt wurde, ist es nicht wirklich „gut“. Die Slow-Fashion-Bewegung fordert uns auf, beide Seiten der Medaille zu betrachten und Marken kritisch zu hinterfragen, die sich nur mit grünen Versprechen schmücken, aber über die Arbeitsbedingungen in ihrer Lieferkette schweigen.

Initiativen zur Transparenz zeigen immer wieder, dass nur umfassende Siegel wie GOTS (Global Organic Textile Standard) oder die Mitgliedschaft in Organisationen wie der Fair Wear Foundation garantieren, dass sowohl strenge ökologische als auch soziale Kriterien entlang der gesamten Produktionskette eingehalten werden. Diese Siegel sind ein wichtiger Anhaltspunkt für bewusste Verbraucher*innen. Doch es gibt ein noch mächtigeres Werkzeug, das insbesondere in Deutschland an Bedeutung gewinnt.

Seit 2023 gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Es verpflichtet große Unternehmen gesetzlich dazu, Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten zu achten und darüber Bericht zu erstatten. Das ist ein Paradigmenwechsel: Freiwillige Selbstverpflichtungen werden durch rechtliche Verantwortung ersetzt. Für uns als Verbraucher*innen bedeutet das: Wir haben das Recht, Transparenz einzufordern und Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen. Organisationen wie die „Kampagne für Saubere Kleidung“ nutzen dieses Gesetz, um Druck aufzubauen und für faire Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Als informierte Konsument*innen können wir diese Arbeit unterstützen, indem wir gezielt nach den Transparenzberichten von Marken fragen und Unternehmen den Rücken kehren, die sich ihrer Verantwortung entziehen. So werden wir zu aktiven Lieferketten-Detektiven, die nicht nur grüne, sondern wirklich faire Mode fordern.

Warum die coolsten Stücke nicht neu sind: Die Kunst, Vintage-Mode zu finden und zu kombinieren

Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, das bereits existiert. Secondhand- und Vintage-Mode ist die reinste Form der Slow Fashion. Sie widerspricht dem Diktat der ständigen Neuproduktion und zelebriert stattdessen die Geschichte, Qualität und Einzigartigkeit bereits getragener Stücke. Weit entfernt vom verstaubten Image vergangener Tage, hat sich Secondhand-Shopping zu einer kreativen Schatzsuche entwickelt, bei der man individuelle Stücke findet, die dem eigenen Stil eine unverwechselbare Note verleihen.

Deutschland hat eine lebendige und vielfältige Secondhand-Kultur. Berlin gilt als Vintage-Hauptstadt mit legendären Läden wie „PICKNWEIGHT“, wo nach Gewicht bezahlt wird, oder den großen „Humana“-Filialen, die über das ganze Stadtgebiet verteilt sind. Aber auch abseits der Metropolen boomt der Markt. Online-Plattformen wie Vinted (ehemals Kleiderkreisel) und Mädchenflohmarkt haben den digitalen Handel mit gebrauchter Kleidung revolutioniert und machen es einfacher denn je, vom Sofa aus einzigartige Fundstücke zu entdecken. Für Designer-Liebhaber bietet Rebelle eine kuratierte Auswahl an Luxus-Secondhand-Artikeln.

Neben den digitalen und stationären Angeboten bleibt die klassische Flohmarkt-Kultur eine feste Größe. Besonders bekannt sind die Märkte am Mauerpark in Berlin oder der Flohschanze in Hamburg, wo man früh morgens die besten Schätze heben kann. Eine weitere großartige Möglichkeit sind Kleidertausch-Partys im Freundeskreis („Swap-Parties“), die den sozialen Aspekt von Mode in den Vordergrund rücken. Indem Sie gut erhaltene, aber nicht mehr getragene Kleidung weitergeben, nehmen Sie aktiv am Kreislauf teil. Immerhin nutzen bereits 86% der Deutschen Altkleidersammlungen – ein Beweis für das hohe Bewusstsein für Ressourcenschonung. Secondhand ist nicht länger ein Kompromiss, sondern ein Statement für Individualität und Nachhaltigkeit.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der wahre Preis von Fast Fashion umfasst massive ökologische Zerstörung und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, die durch niedrige Preise verschleiert werden.
  • Langfristiges Denken durch die „Cost-per-Wear“-Logik beweist, dass hochwertige, ethische Mode oft die finanziell klügere Entscheidung ist.
  • Transparenz ist kein Luxus, sondern ein Recht. Das deutsche Lieferkettengesetz gibt Ihnen als Konsument*in die Macht, von Unternehmen Rechenschaft zu verlangen.

Jenseits des grünen Etiketts: Ein kritischer Leitfaden für wirklich nachhaltige und faire Mode

Nachdem wir die Probleme der Fast Fashion analysiert und die Grundpfeiler der Slow Fashion – Qualität, Pflege, Minimalismus und Secondhand – erkundet haben, folgt der letzte, entscheidende Schritt: die souveräne Kaufentscheidung im Hier und Jetzt. Wie navigiert man durch den Dschungel aus grünen Versprechen, Marketing-Slogans und einer Vielzahl von Siegeln? Der Schlüssel liegt darin, zum kritischen Marken-Detektiv zu werden und gezielte Fragen zu stellen, die über die oberflächliche Fassade hinausgehen.

Verlassen Sie sich nicht auf die unternehmenseigenen „Nachhaltigkeits“-Label. Suchen Sie nach unabhängigen, strengen Zertifizierungen. Die folgende Übersicht dient als Kompass im deutschen Siegel-Dschungel und hilft, die Aussagekraft verschiedener Labels einzuordnen.

Siegelkategorie Siegel Was wird geprüft? Aussagekraft
Tier 1 – Höchste Standards GOTS, IVN Best, Fair Wear Foundation Ökologie + Soziales + Transparenz Sehr hoch
Tier 2 – Gute Standards Fairtrade Cotton, OEKO-TEX Made in Green Teilbereiche (Sozial oder Öko) Hoch
Tier 3 – Basis Standards BCI, Markeneigene Labels Einzelne Aspekte Mittel

Doch selbst die besten Siegel sind nur ein Teil des Puzzles. Wahre Transparenz zeigt sich darin, wie offen eine Marke über ihre gesamte Lieferkette kommuniziert. Ein Unternehmen, das stolz auf seine ethischen Grundsätze ist, hat nichts zu verbergen. Nutzen Sie die folgende Checkliste, um Marken auf den Prüfstand zu stellen und Greenwashing zu entlarven.

Ihr Plan, um zur Marken-Detektiv*in zu werden

  1. Eigentumsverhältnisse prüfen: Recherchieren Sie, wem die Marke gehört. Gehört sie möglicherweise zu einem großen Fast-Fashion-Konzern, der Greenwashing betreibt?
  2. Transparenzbericht suchen: Veröffentlicht die Marke einen jährlichen, detaillierten Nachhaltigkeits- oder Transparenzbericht, der über Marketing-Floskeln hinausgeht?
  3. Produktionsstätten identifizieren: Nennt die Marke ihre Lieferanten und Produktionsstätten namentlich und geografisch? Das ist ein starkes Zeichen für Verantwortungsübernahme.
  4. Zertifizierungen hinterfragen: Stützt sich die Marke auf unabhängige, strenge Zertifizierungen (Tier 1) oder bewirbt sie hauptsächlich ihre eigenen, weniger aussagekräftigen Labels?
  5. Reaktion auf Kritik bewerten: Wie reagiert die Marke auf kritische Nachfragen von Journalist*innen, NGOs oder Kund*innen auf Social Media? Offenheit oder Abwehrhaltung?

Mit diesen Werkzeugen sind Sie bestens gerüstet. Der kritische Blick jenseits des grünen Etiketts ist der letzte Schritt, um Ihre Konsumenten-Souveränität voll zu entfalten.

Beginnen Sie noch heute damit, diese Prinzipien anzuwenden. Ihre nächste Kaufentscheidung ist nicht nur ein Beitrag zu einer besseren Modeindustrie, sondern der erste Schritt zu einem Kleiderschrank, der Ihnen wirklich Freude bereitet und Ihre Werte widerspiegelt.

Geschrieben von Johanna Fischer, Johanna Fischer ist eine seit über 10 Jahren tätige Stilberaterin und anerkannte Expertin für nachhaltige Mode und den Aufbau von Capsule Wardrobes. Sie hilft Menschen, einen bewussten und zeitlosen Stil zu finden, der ihre Persönlichkeit unterstreicht.