
Die heutige Mode ist kein Zufall, sondern das sichtbare Ergebnis eines kulturellen Spannungsfeldes zwischen technologischer Beschleunigung und der Sehnsucht nach menschlicher Authentizität.
- Digitale Plattformen wie TikTok demokratisieren Trends, schaffen aber auch eine flüchtige, algorithmusgesteuerte Ästhetik.
- Die Rückkehr vergangener Stile (Nostalgie) und der Natur (Gorpcore/Cottagecore) sind Gegenreaktionen auf eine zunehmend virtuelle und unsichere Welt.
Empfehlung: Statt jedem Hype zu folgen, liegt der Schlüssel darin, die gesellschaftlichen Treiber hinter einem Trend zu verstehen, um seine Langlebigkeit zu bewerten.
Wer heute versucht, die Mode zu verstehen, blickt in ein schillerndes, oft widersprüchliches Kaleidoskop. Auf der einen Seite beschleunigen TikTok-Challenges Trends auf ein nie dagewesenes Tempo, auf der anderen Seite sehnen wir uns nach der Beständigkeit von Omas Strickjacke. Hightech-Stoffe aus dem Labor treffen auf die romantische Ästhetik eines ländlichen Idylls. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wirkt auf den ersten Blick chaotisch und beliebig, als ob jede Woche eine neue Ästhetik ausgerufen wird, nur um in der nächsten wieder vergessen zu sein.
Die gängige Analyse beschränkt sich oft darauf, diese Phänomene zu benennen: Y2K ist zurück, Gorpcore ist in, Nachhaltigkeit ist wichtig. Doch diese oberflächliche Betrachtung greift zu kurz. Sie verpasst den Kern dessen, was Mode in ihrer Essenz ist: ein seismografischer Indikator für gesellschaftliche Verschiebungen, ein Verhandlungsort für unsere kollektiven Werte, Ängste und Hoffnungen. Die Mode von heute ist kein zufälliges Sammelsurium, sondern ein kulturelles Spannungsfeld, in dem die zentralen Konflikte unserer Zeit ausgetragen werden.
Wenn wir also die Mode der Gegenwart entschlüsseln wollen, müssen wir tiefer blicken. Wir müssen verstehen, warum die digitale Welt eine analoge Sehnsucht hervorruft und wieso der Ruf nach ethischer Produktion lauter wird, während Fast-Fashion-Giganten Rekordumsätze verzeichnen. Dieser Artikel ist kein Trendreport. Er ist eine kulturkritische Analyse, die die semiotischen Codes hinter der Kleidung entschlüsselt. Anstatt nur zu beschreiben, *was* wir tragen, untersuchen wir, *warum* wir es tragen und was dies über unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert aussagt.
Um diese komplexen Zusammenhänge zu durchdringen, analysieren wir die prägenden Kräfte der heutigen Modewelt. Von der digitalen Revolution über die Macht der Nostalgie bis hin zu den ethischen Debatten um Fast und Slow Fashion – jede Facette liefert einen Schlüssel zum Verständnis unseres kulturellen Codes.
Inhalt: Der Code der Mode im 21. Jahrhundert
- Von der Modenschau zum TikTok-Trend: Wie Instagram und Co. die Spielregeln der Mode neu geschrieben haben
- Die Macht der Vergangenheit: Warum die Mode von heute besessen ist von der Wiederentdeckung vergangener Jahrzehnte
- Die digitale Revolution im Designstudio: Wie Kleidung entsteht, ohne jemals genäht worden zu sein
- Kleidung, die sich anpasst: Das Konzept der anpassungsfähigen Mode für eine vielfältigere Gesellschaft
- Flucht in die Natur: Warum sich die moderne Mode zwischen Hightech-Funktionalität und ländlicher Romantik bewegt
- Hype oder Haltung? Wie Sie erkennen, welche Modetrends bleiben und welche Sie getrost ignorieren können
- Wer zahlt den Preis für Ihre Billig-Kleidung? Die versteckten ökologischen und sozialen Kosten der Fast Fashion
- Weniger, aber besser: Wie die Slow-Fashion-Bewegung unsere Beziehung zu Kleidung heilt
Von der Modenschau zum TikTok-Trend: Wie Instagram und Co. die Spielregeln der Mode neu geschrieben haben
Die Zeiten, in denen Modetrends exklusiv auf den Laufstegen von Paris, Mailand oder New York dekretiert und dann langsam nach unten durchsickerten, sind endgültig vorbei. Heute entstehen, verbreiten und sterben Ästhetiken innerhalb von Wochen auf Plattformen wie TikTok und Instagram. Die Macht hat sich von einer kleinen Elite von Designern und Redakteuren zu einem globalen Netzwerk von Content Creatorn und Nutzern verlagert. Diese Demokratisierung hat die Mode dynamischer und vielfältiger gemacht, aber auch unberechenbarer und flüchtiger.
Die Zahlen für Deutschland belegen diesen Wandel eindrucksvoll. Laut einer aktuellen Erhebung nutzen bereits 19 % der 14- bis 69-Jährigen die Plattform TikTok, in jüngeren Zielgruppen ist der Anteil noch weitaus höher. Hier werden keine Kollektionen mehr präsentiert, sondern „Cores“ und „Aesthetics“ – virale Mikro-Stile wie „Balletcore“ oder „Dark Academia“, die oft nur aus wenigen Schlüssel-Elementen bestehen und schnell adaptierbar sind. Der Algorithmus fungiert als oberster Kurator, der entscheidet, was sichtbar wird und was nicht. Dies führt zu einem Phänomen, das die Modeexpertin Sabine Resch treffend als Stilpluralismus beschreibt: Es gibt nicht mehr den einen großen Trend, sondern eine Vielzahl von gleichzeitig existierenden Strömungen und Gegenströmungen.
Diese neue Logik stellt eine fundamentale Herausforderung für die traditionelle Modeindustrie dar. Die halbjährlichen Zyklen der Modewochen wirken anachronistisch angesichts der wöchentlichen Viralität von TikTok-Sounds. Marken müssen lernen, in diesem neuen Ökosystem zu agieren, in dem Authentizität und Partizipation oft mehr wiegen als ein makelloses Markenimage. Der Trend ist nicht mehr das, was diktiert wird, sondern das, was geteilt wird.
Die Macht der Vergangenheit: Warum die Mode von heute besessen ist von der Wiederentdeckung vergangener Jahrzehnte
Parallel zur digitalen Beschleunigung beobachten wir ein scheinbar paradoxes Phänomen: eine tiefgreifende Obsession mit der Vergangenheit. Ob es die Low-Rise-Jeans und bauchfreien Tops der 2000er (Y2K), die Grunge-Ästhetik der 90er oder die Schlaghosen der 70er sind – kaum ein aktueller Trend kommt ohne eine deutliche historische Referenz aus. Diese Nostalgie ist jedoch mehr als nur ein kreatives Recycling alter Ideen. Sie ist eine kulturelle Reaktion auf eine Gegenwart, die von vielen als unsicher, komplex und überwältigend empfunden wird.

Die Vergangenheit, insbesondere die eigene Jugend oder die idealisierte Vergangenheit vor der Allgegenwart des Internets, erscheint als ein sicherer Hafen. Die Ästhetik vergangener Jahrzehnte ist ein bekanntes Territorium mit klaren Codes und einem Gefühl von Authentizität, das in der digitalen Flut oft verloren geht. Die Mode wird zur Zeitmaschine, die es uns erlaubt, in eine vermeintlich einfachere, greifbarere Ära zu entfliehen. Besonders die Y2K-Ära, die einst als Inbegriff des schlechten Geschmacks galt, erfährt eine bemerkenswerte Neubewertung.
Diese Wahrnehmungsverschiebung wird in einem Beitrag von egoFM pointiert zusammengefasst, der die Rückkehr des „Denim on Denim“-Looks beschreibt:
Das war eine Zeit lang total verpönt […], da erinnern sich wahrscheinlich viele an das Bild von Britney Spears und Justin Timberlake, beide in hellblauen Jeans, von oben bis unten. Das war dann irgendwann eine Lachnummer, aber […] Denim überhaupt und was mit Denim alles gemacht werden kann, das kommt aus der Y2K.
Der Retro-Zyklus ist somit kein bloßes Stilzitat, sondern ein tiefes kulturelles Bedürfnis nach Verankerung. In einer Welt, in der Zukunftsszenarien oft dystopisch wirken, bietet die modische Rückbesinnung eine Form von Trost und kollektiver Identität. Sie ist der Versuch, in einer fragmentierten Gegenwart eine kohärente Geschichte zu erzählen, indem man auf bekannte visuelle Narrative zurückgreift.
Die digitale Revolution im Designstudio: Wie Kleidung entsteht, ohne jemals genäht worden zu sein
Während die äußere Erscheinung der Mode oft rückwärtsgewandt scheint, findet in den Designstudios und Produktionsprozessen eine radikale technologische Revolution statt. Die Digitalisierung verändert nicht nur, wie wir Mode konsumieren, sondern fundamental, wie sie entworfen, entwickelt und hergestellt wird. Technologien wie 3D-Design, künstliche Intelligenz und virtuelle Realität lösen die traditionellen Grenzen zwischen Idee und physischem Produkt auf.
Mit 3D-Designsoftware wie CLO 3D oder Browzwear können Designer heute fotorealistische digitale Prototypen erstellen. Anstatt unzählige physische Muster zu nähen, die Zeit, Material und Geld kosten, können Passform, Fall und Textur eines Kleidungsstücks vollständig am Computer simuliert und angepasst werden. Dieser Prozess reduziert nicht nur den Abfall und die Kosten in der Entwicklungsphase drastisch, sondern ermöglicht auch ein viel höheres Maß an kreativer Freiheit und Experimentierfreude. Ein Design kann in Sekunden von Baumwolle zu Seide oder von Rot zu Blau wechseln.
Diese digitalen Zwillinge von Kleidungsstücken bilden die Grundlage für weitere Innovationen. Sie können für virtuelle Anproben mittels Augmented Reality (AR) genutzt werden, bei denen Kunden ein Kleidungsstück über ihr eigenes Spiegelbild auf dem Smartphone projizieren können. Darüber hinaus eröffnet der 3D-Druck die Möglichkeit, komplexe Strukturen und maßgeschneiderte Accessoires herzustellen, die mit traditionellen Methoden unmöglich wären. Die Mode löst sich vom Zwang der physischen Herstellung und wird zu einem Datensatz, der je nach Bedarf materialisiert werden kann.
Diese Entwicklung stellt die klassische Definition von Kleidung in Frage. Ist ein Kleidungsstück, das nur digital als „Skin“ in einem Videospiel existiert, weniger „echt“ als eines im Schrank? Die digitale Revolution im Designstudio ist mehr als nur ein Effizienzgewinn; sie ist ein philosophischer Wandel hin zu einer dematerialisierten und fluideren Vorstellung von Mode.
Kleidung, die sich anpasst: Das Konzept der anpassungsfähigen Mode für eine vielfältigere Gesellschaft
Ein weiterer tiefgreifender Wandel in der Mode ist die Abkehr von einem einzigen, normativen Körperideal. Jahrzehntelang war die Branche auf eine schlanke, standardisierte Silhouette fixiert. Heute jedoch spiegelt sich der gesellschaftliche Ruf nach Inklusion und Diversität zunehmend in den Designs wider. Konzepte wie Körperpositivität, Genderfluidität und adaptive Mode sind nicht länger Nischenthemen, sondern rücken ins Zentrum der Diskussion.

Die adaptive Mode ist hierbei ein besonders innovatives Feld. Sie konzentriert sich auf die Entwicklung von Kleidung für Menschen mit Behinderungen oder körperlichen Einschränkungen. Dabei geht es nicht nur um Funktionalität, sondern auch um Stil und Selbstausdruck. Anstelle von stigmatisierenden Speziallösungen werden intelligente Design-Features in modische Kleidung integriert. Dazu gehören beispielsweise:
- Magnetische Verschlüsse anstelle von kleinen Knöpfen für Menschen mit eingeschränkter Motorik.
- Verstellbare Säume und elastische Einsätze für Rollstuhlfahrer, um Komfort und Passform zu optimieren.
- Diskrete Öffnungen für medizinische Geräte.
Parallel dazu fordert die Genderfluidität traditionelle binäre Kategorien von „Männer-“ und „Frauenmode“ heraus. Designer entwerfen zunehmend Kollektionen, die sich nicht über das Geschlecht, sondern über die Passform, den Stil und die Persönlichkeit des Trägers definieren. Röcke für Männer oder oversized Blazer für Frauen sind nicht mehr provokante Ausnahmen, sondern Teil eines neuen Verständnisses von Mode als Werkzeug zur individuellen Identitätskonstruktion.
Diese Bewegungen sind mehr als nur ein Marketingtrend. Sie repräsentieren einen fundamentalen Wertewandel: weg von der Anpassung des Körpers an die Kleidung, hin zur Anpassung der Kleidung an den vielfältigen menschlichen Körper. Mode wird so zu einem Instrument der Ermächtigung und der sozialen Teilhabe, das anerkennt, dass es nicht den einen „perfekten“ Körper gibt, sondern eine unendliche Vielfalt an menschlichen Formen und Ausdrucksweisen.
Flucht in die Natur: Warum sich die moderne Mode zwischen Hightech-Funktionalität und ländlicher Romantik bewegt
Ein zentrales Spannungsfeld der heutigen Gesellschaft ist die Beziehung zwischen Mensch, Technologie und Natur. Dieses manifestiert sich in der Mode durch zwei auf den ersten Blick gegensätzliche, aber eng miteinander verbundene Megatrends: Gorpcore und Cottagecore. Beide sind eine Form der Flucht aus dem urbanen, digitalen Alltag, doch sie wählen völlig unterschiedliche Wege.
Gorpcore, abgeleitet vom amerikanischen umgangssprachlichen Wort für Studentenfutter („Good Ol‘ Raisins and Peanuts“), romantisiert die Ästhetik funktionaler Outdoor- und Wanderkleidung. Fleecejacken, Cargohosen und wasserdichte Hardshells werden zu urbanen Statussymbolen. Hier steht die Hightech-Funktionalität im Vordergrund – der Schutz vor den Elementen, die Langlebigkeit der Materialien. Es ist eine Mode, die für extreme Bedingungen gemacht ist, aber im Alltag getragen wird, als eine Art Rüstung gegen eine unvorhersehbare Welt. Im Gegensatz dazu steht Cottagecore, eine Ästhetik, die ein romantisiertes, ländliches Leben idealisiert. Fließende Kleider, geblümte Muster, Leinenstoffe und Handwerksdetails wie Stickereien dominieren diesen Stil. Er drückt eine Sehnsucht nach Einfachheit, Naturverbundenheit und einem langsameren, analogen Lebensstil aus.
Die folgende Tabelle fasst die Dialektik dieser beiden Naturtrends zusammen, wie sie auch auf Plattformen wie Stylight analysiert wird:
| Aspekt | Gorpcore | Cottagecore |
|---|---|---|
| Ästhetik | Funktionale Outdoor-Kleidung im Alltag | Romantisch-ländlicher Stil |
| Materialien | Hightech-Stoffe (wasserdicht, UV-schützend) | Naturfasern (Leinen, Baumwolle) |
| Kernmarken | Jack Wolfskin, Ortlieb | Traditionelle Handwerkskunst |
| Motivation | Schutz vor Wetterextremen | Sehnsucht nach einfachem Leben |
Beide Trends sind zwei Seiten derselben Medaille: die Suche nach Authentizität und Erdung in einer digitalisierten, entfremdeten Welt. Diese Rückbesinnung auf die Natur ist kein kurzfristiger Hype. Eine Expertin wie Sabine Resch weist darauf hin, dass solche Megatrends wie die Rückbesinnung auf die Natur eine Lebensdauer von 25 Jahren und länger haben können. Sie sind Ausdruck eines tiefen kulturellen Wandels, der unsere Beziehung zur Umwelt neu verhandelt.
Hype oder Haltung? Wie Sie erkennen, welche Modetrends bleiben und welche Sie getrost ignorieren können
In einem Umfeld, das von Mikro-Trends und einem ständigen Fluss neuer Ästhetiken geprägt ist, wird es für Konsumenten wie auch für Designer immer schwieriger, zwischen einem flüchtigen Hype und einer langlebigen Stilentwicklung zu unterscheiden. Nicht jeder virale TikTok-Look hat das Potenzial, sich dauerhaft zu etablieren. Doch wie kann man die Spreu vom Weizen trennen? Anstatt blind jedem neuen „Core“ zu folgen, hilft ein analytischer Blick auf die strukturellen Merkmale eines Trends.
Langlebige Trends sind selten völlig neu. Sie knüpfen oft an klassische Archetypen an (wie den Trenchcoat, das weiße Hemd oder die Blue Jeans) und interpretieren diese neu. Ein Hype hingegen basiert oft auf einem auffälligen, aber isolierten Gimmick. Ein gutes Beispiel ist die Evolution des Farbtrends Pink: Der laute „Barbiecore“-Hype, der 2023 seinen Höhepunkt erreichte, flaut bereits ab und macht Platz für eine subtilere, abgeschwächte Variante in Rosa – eine Farbe mit einer viel längeren und klassischeren Geschichte in der Mode.
Ein entscheidendes Kriterium ist zudem die Verbindung zu gesellschaftlichen Makro-Shifts. Ein Trend, der an tiefgreifende Wertewandel wie Nachhaltigkeit, Genderfluidität oder das Bedürfnis nach Komfort anknüpft, hat eine weitaus höhere Überlebenschance als einer, der nur eine kurzfristige visuelle Laune bedient. Die folgende Checkliste bietet ein Framework, um die Substanz eines Modetrends zu bewerten.
Ihr Plan zur Trendbewertung: Ein analytisches Framework
- Archetypen-Check: Basiert der Trend auf einem klassischen Archetyp (z. B. Trenchcoat, Anzug) oder ist er ein isoliertes Novum? Klassiker haben mehr Bestand.
- Materialitäts-Analyse: Setzt der Trend auf hochwertige, langlebige Materialien wie Wolle, Leder oder Leinen, oder auf billige, saisonale Stoffe?
- Makro-Shift-Verbindung: Knüpft der Trend an eine größere gesellschaftliche Veränderung an (z. B. Nachhaltigkeit, neue Arbeitsmodelle, Gender-Debatten)?
- Zeitliche Dimension: Handelt es sich um einen kurzen Saisontrend (oft farb- oder mustergetrieben) oder einen längeren Gesellschaftstrend (oft silhouetten- oder funktionsgetrieben)?
- Gegentrend-Identifikation: Existiert bereits eine sichtbare Gegenbewegung? Die Existenz eines Gegentrends kann die Bedeutung und Langlebigkeit des ursprünglichen Trends bestätigen (Dialektik).
Die Fähigkeit, zwischen Hype und Haltung zu unterscheiden, ist nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch ein Akt der Nachhaltigkeit. Sie ermöglicht einen bewussteren Konsum und den Aufbau einer Garderobe, die über saisonale Launen hinaus Bestand hat. Es geht darum, eine persönliche Ästhetik zu entwickeln, anstatt sich von algorithmengesteuerten Mikro-Zyklen treiben zu lassen.
Wer zahlt den Preis für Ihre Billig-Kleidung? Die versteckten ökologischen und sozialen Kosten der Fast Fashion
Die digitale Beschleunigung von Trends hat einen dunklen Zwilling: das Geschäftsmodell der Fast Fashion. Ultra-schnelle Modeketten haben die Fähigkeit perfektioniert, Laufsteg- und Social-Media-Trends in Rekordzeit zu kopieren und zu extrem niedrigen Preisen auf den Markt zu bringen. Dieses System befriedigt den Wunsch nach ständiger Neuheit, doch der Preis dafür wird an anderer Stelle gezahlt – von der Umwelt und den Menschen in den globalen Lieferketten.

Die ökologischen Kosten sind immens: enormer Wasserverbrauch, Einsatz von Pestiziden beim Baumwollanbau, Umweltverschmutzung durch Chemikalien beim Färben und riesige Mengen an Textilabfällen, die durch die kurze Lebensdauer der Kleidung entstehen. Die sozialen Kosten sind ebenso dramatisch: ausbeuterische Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und mangelnde Sicherheit für die Textilarbeiterinnen und -arbeiter, vor allem in Ländern wie Bangladesch oder Pakistan.
In Deutschland versuchte man, diesem Problem mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zu begegnen, das seit 2023 in Kraft ist. Es verpflichtet große deutsche Unternehmen, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten sicherzustellen. Doch die gut gemeinte Initiative hat paradoxe und unbeabsichtigte Folgen. Anstatt die Bedingungen vor Ort zu verbessern, zogen sich viele deutsche Unternehmen aus Risiko-Ländern zurück. Eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IWD) zeigt, dass Deutschland seit Inkrafttreten des Gesetzes 20 % weniger Textilien aus den ärmsten Entwicklungsländern importierte.
Das IWD kommentiert die dramatischen Auswirkungen dieser Entwicklung in seiner Analyse:
Für die betroffenen Schwellenländer wie Bangladesch oder Pakistan sind das keine guten Nachrichten. Denn dort haben aufgrund der geringeren Nachfrage bereits viele Textilfabriken dichtgemacht.
– Institut der deutschen Wirtschaft, IWD-Analyse zum Lieferkettengesetz
Dieses Beispiel zeigt die enorme Komplexität des Problems. Eine einfache Boykott-Logik greift zu kurz. Die Auseinandersetzung mit Fast Fashion erfordert ein systemisches Verständnis der globalen Verflechtungen und der oft widersprüchlichen Auswirkungen politischer Maßnahmen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die heutige Mode ist ein Spiegel gesellschaftlicher Spannungsfelder, insbesondere zwischen digitaler Beschleunigung und analoger Sehnsucht.
- Soziale Medien wie TikTok haben die Trendzyklen radikal verkürzt und die Macht von traditionellen Modeautoritäten zu den Nutzern verlagert.
- Die Langlebigkeit eines Trends hängt von seiner Anbindung an tiefgreifende gesellschaftliche Makro-Shifts (z.B. Nachhaltigkeit, Nostalgie) ab, nicht von kurzfristiger viraler Ästhetik.
Weniger, aber besser: Wie die Slow-Fashion-Bewegung unsere Beziehung zu Kleidung heilt
Als direkte Gegenreaktion auf die Exzesse der Fast Fashion hat sich die Slow-Fashion-Bewegung formiert. Sie ist mehr als nur ein Trend; sie ist eine Philosophie, die eine grundlegend andere Beziehung zu Kleidung und Konsum vorschlägt. Anstatt Kleidung als Wegwerfartikel zu betrachten, plädiert Slow Fashion für Wertschätzung, Langlebigkeit und Bewusstsein. Das Motto lautet: weniger kaufen, besser auswählen und länger tragen.
Die Prinzipien von Slow Fashion sind vielfältig. Sie umfassen die Verwendung hochwertiger, langlebiger und umweltfreundlicher Materialien, faire Arbeitsbedingungen in der gesamten Produktionskette, zeitloses Design anstelle von kurzlebigen Hypes und die Förderung von Reparatur und Pflege. Es geht darum, die Geschichte hinter einem Kleidungsstück wieder wertzuschätzen – die Handwerkskunst, die Ressourcen und die menschliche Arbeit, die darin stecken.
Ein zentraler und wachsender Pfeiler dieser Bewegung ist der Secondhand-Markt. Die Wiederverwendung von Kleidung ist eine der effektivsten Methoden, um den Lebenszyklus von Textilien zu verlängern und den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. In Deutschland ist der Secondhand-Handel längst aus der Nische herausgetreten und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Plattformen für den Wiederverkauf boomen, und insbesondere hochwertige Vintage-Stücke gelten als preisstabile und nachhaltige Investition.
Trotz dieser positiven Entwicklung ist der Weg noch weit. Jeder Deutsche kauft laut der Bundeszentrale für politische Bildung im Schnitt 12 Kilogramm Bekleidung pro Jahr, wobei der Großteil immer noch aus Billigproduktionsländern stammt. Die Slow-Fashion-Bewegung zielt darauf ab, diese Denkweise zu heilen, indem sie den Fokus von der reinen Quantität auf die Qualität und die emotionale Verbindung zu unseren Kleidungsstücken lenkt. Es ist ein Aufruf, eine Garderobe als eine kuratierte Sammlung von Lieblingsteilen zu betrachten, anstatt als ein sich ständig drehendes Karussell von Fast-Fashion-Artikeln.
Der bewusste Umgang mit Mode beginnt daher nicht erst im Kleiderschrank, sondern bei der kritischen Auseinandersetzung mit den Geschichten, die jedes Kleidungsstück erzählt. Bewerten Sie Trends nicht nach ihrer Popularität, sondern nach ihrer Relevanz für Ihre eigenen Werte und eine zukunftsfähige Welt.